Wolfgang Kubicki: "Reduzierung der Flüchtlingszahlen ist unerlässlich."

Das Jahr 2016 ist ein Superwahljahr: In vier Bun-desländern – Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vor-pommern – sind Landtagswahlen. Denen folgen dann im Herbst 2017 die Bundestagswahlen, bei denen zumindest aus aktueller Sicht die politischen Karten neu gemischt werden kön-nten. Die FDP, die in den vergangenen Jahren massiv Federn lassen musste, gibt sich sieges-gewiss und sieht sowohl in den Landtagen wie auch im Bundestag positive Tendenzen.

 

2017 soll die Rückkehr in den Bundestag erfolgen, so FDP-Vize Wolfgang Kubicki in einem Gespräch mit Network-Karriere-Herausgeber Bernd Seitz.

 

Network-Karriere: Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens – Wirtschaftsführer, Verbände, Vereine und Organisationen, aber auch Leute aus dem Show-Bereich – bekennen sich wieder offen zur FDP. Das Tal der Tränen dürfte durchschritten sein. Was macht diesen offensichtlichen Stimmungsumschwung aus?

 

Wolfgang Kubicki: Zum einen liegt das daran, dass wir nach der verlorenen Bundestagswahl eine gründliche Analyse vorgenommen haben, wo bzw. wofür die Freien Demokraten stehen, und der Frage nachgegangen sind, was unsere potenziellen Wähler von uns erwarten. Zum anderen liegt das natürlich auch daran, dass wir jetzt wieder bei Wahlen erfolgreich sind. Die Bürgerschaftswahlen in Hamburg und Bremen mit den Spitzenkandidatinnen Katja Suding und Lencke Steiner im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass es wieder ein großes Bedürfnis nach einer politischen Kraft gibt, die sich für die größtmögliche individuelle Freiheit einsetzt – und die nicht in den Bevormundungskanon der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien einstimmt.

 

NK: Eines der Hauptthemen dürfte sowohl bei den Landtags- als auch bei der darauf folgenden Bundestagswahl die Flüchtlingspolitik sein. Sagt auch die FDP uneingeschränkt „Wir schaffen das schon“ oder hat sie andere Vorstellungen zu diesem Thema?

 

Wolfgang Kubicki: Nein, wir sagen definitiv nicht „Wir schaffen das schon“ – denn das hieße ja, wir bräuchten im Zweifel nichts zu verändern. Wir sagen vielmehr: „Wir können es schaffen, wenn wir bestimmte Weichen richtig stellen.“ Derzeit profitiert die Bundesrepublik noch erheblich von der außerordentlich guten konjunkturellen Entwicklung und den sprudelnden Steuereinnahmen. Ich bin mir ziemlich sicher, wir würden ganz andere, viel unangenehmere Diskussionen führen müssen, wenn wir in schwierigeren wirtschaftlichen Zeiten über eine Million Flüchtlinge aufnähmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute die Rahmenbedingungen für wirtschaftliches Wachstum weiter verbessern, damit wir stark genug sind, die Folgen dieser Entwicklung auch weiterhin stemmen zu können.

Wir brauchen außerdem dringend ein Zuwanderungsgesetz für Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben wollen, und wir benötigen für Kriegsflüchtlinge humanitären Schutz, begrenzt auf drei Jahre. Die könnten dann sofort eine Arbeit aufnehmen, Sprachkurse besuchen, zur Schule oder zur Universität gehen. Das könnte übrigens rasch über einen Beschluss des Bundestages geregelt werden. Allerdings ist auch unstreitig, dass eine Reduzierung der Flüchtlingszahlen unerlässlich ist, denn wir müssen auch imstande sein, vernünftige Integration leisten zu können. Wir haben es ja Anfang dieses Jahres in Schweden oder Dänemark erlebt: Kommen mehr Menschen, als unsere soziale Infrastruktur tragen kann, befördert dies eher die Desintegration. Das können wir nicht wollen. 

 

NK: Weite Teile der Bevölkerung machen sich Sorgen um die innere Sicherheit des Landes. Mögliche Terroranschläge werden ebenso befürchtet wie eine zunehmende Kriminalität, insbesondere was die steigende Zahl der Wohnungseinbrüche, Eigentumsdelikte und die Internet-Kriminalität angeht. Brauchen die Behörden mehr Zugriff auf die Kommunikationsdaten?

 

Wolfgang Kubicki: Die Idee, dass wir eine Stärkung der inneren Sicherheit bekommen, wenn wir anlasslos alle Bundesbürger unter Verdacht stellen, habe ich noch immer nicht logisch nachvollziehen können. Die Anschläge in Paris im vergangenen Jahr haben ja sehr deutlich gezeigt, dass die dort seit 2005 bestehende Vorratsdatenspeicherung offensichtlich wirkungslos war. Wir brauchen nicht mehr Überwachungsinstrumente, wir brauchen schlichtweg mehr Polizeibeamte. Angesichts dieser Entwicklungstendenzen, die Sie beschreiben, rächt sich doch, dass die Landespolizeien in den vergangenen Jahrzehnten sukzessive personell ausgedünnt wurden, sodass wir in einigen Kriminalitätsbereichen mittlerweile von einer Kapitulation des Rechtsstaates sprechen müssen. Wir haben bei uns in Schleswig-Holstein Landstriche, in denen gibt es Aufklärungsquoten bei Wohnungseinbrüchen von unter fünf Prozent. Das bedeutet, 95 Prozent der Fälle bleiben dort statistisch unaufgeklärt. Dass sich vor diesem Szenario jetzt mehr und mehr Menschen zu Bürgerwehren zusammenschließen und sich mit Pfefferspray oder Schreckschusswaffen ausstatten wollen, macht es nicht besser. Wenn die Bürger meinen, das Recht selbst in die Hand nehmen zu müssen, haben der Rechtsstaat und seine Organe die Lage offensichtlich nicht mehr im Griff. Das ist ein besorgniserregender Zustand.

 

NK: Eine breitgefächerte Bildung der Bevölkerung ist wohl unbestritten das Kapital und die Zukunft Deutschlands. Doch die Allgemeinschulen hinken vergleichbaren Ländern weit hinterher und unsere Universitäten sind hoffnungslos überlaufen. Die FDP spricht von einer vernachlässigten Schlüsselfrage der Zukunft. Was muss sich in Sachen Bildung grundlegend verändern?

 

Wolfgang Kubicki: Wir brauchen dringend einheitliche Bildungsstandards. Deshalb müssen wir unsere Bemühungen für ein Zentralabitur verstärken. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Mobilität der Menschen innerhalb des Bundesgebietes heute deutlich größer ist als noch in den 1950er-Jahren, liegt es auf der Hand, dass die Bildungshoheit der Bundesländer in der tradierten Form nicht mehr zeitgemäß ist. Wenn wir erleben, dass die Abiturnoten in Bremen mit den Abiturnoten in Bayern überhaupt nichts mehr zu tun haben, dann liegt doch die Frage auf der Hand, ob wir unsere Kinder länderübergreifend zur gleichen Hochschulreife ausbilden. Und was für das Abitur gilt, müssen wir auch auf die anderen Schulabschlüsse übertragen.

 

NK: Ist Deutschland noch das Land der Forscher, Tüftler und Entwickler, hauptsächlich der Mittelständler, die durch Innovationen wesentlich zum Wohlstand des Landes und zur Ausbildung des Nachwuchses beiträgt?

 

Wolfgang Kubicki: Grundsätzlich ja, aber wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Der digitale Wandel wird in der Zukunft viel mehr Lebensbereiche umfassen, als wir es uns heute vorstellen können. Deshalb ist es notwendig, dass der Breitbandausbau – also die Versorgung mit schnellem Internet – auch in die kleinsten Ecken des Bundesgebietes reicht. Wenn wir dies nicht gewährleisten, werden wir auch Bereich der Innovationen den Anschluss an die Spitze verlieren.

 

NK: Die FDP sah sich in der Vergangenheit als die politische Vertretung des Mittelstandes und der Freiberufler. Ist sie das auch noch in der Zukunft?

 

Wolfgang Kubicki: Ja, selbstverständlich. Der Mittelstand und die Freiberufler bilden das Rückgrat der Wirtschaft unseres Landes. Die kleinen und mittleren Unternehmen schaffen Arbeitsplätze und sorgen dafür, dass die Menschen in Lohn und Brot kommen. Um unseren Mittelstand beneiden uns im Übrigen auch die Franzosen. Wenn wir uns deren Wirtschaftsdaten anschauen, weiß man auch warum.

 

NK: Guido Westerwelle hatte schon vor Jahren in einem Network-Karriere-Interview gefordert, dass in unserem Land jeder von seiner erbrachten Arbeit gut leben können muss. Wir haben heute den Mindestlohn für untere Einkommensgruppen, im mittleren Einkommensbereich fressen immer mehr Abgaben, hohe Energiekosten und unbezahlbare Wohnungsmieten die Bezüge auf. Zweit- und Drittjobs werden immer notwendiger. Hat die FDP dazu konkrete Lösungsvorschläge?

 

Wolfgang Kubicki: ... und all das, obwohl wir seit gut zwei Jahren in Berlin eine Große Koalition haben, in der sich die Sozialdemokraten als das soziale Gewissen Deutschlands aufspielen. Das zeigt doch, dass die Abgabenlast gerade für die unteren und mittleren Einkommen drückend ist. Nur leider umgehen Union und SPD noch immer das Problem der Kalten Progression. Hier hätten wir einen Hebel, um den Menschen mehr in die Lohntüte zu geben. Außerdem muss der Solidaritätszuschlag endlich abgeschafft werden – er ist nicht nur in diesen goldenen konjunkturellen Zeiten fiskalisch entbehrlich, er war auch nur für einen bestimmten Zeitraum konzipiert und angekündigt. Die Politik könnte hier wieder ein Stück Glaubwürdigkeit zurückerlangen, wenn sie die von allen Parteien versprochene zeitliche Begrenzung des Soli auch einmal umsetzen würde.

 

NK: Mietpreisbremse, Energieeinsparungsverordnung und Mietrechtsnovellen bremsen Investitionen in Neubauten und Altbestand regelrecht aus – sie sind zu teuer geworden. Welche Ideen hat die FDP für bezahlbaren Wohnraum?

 

Wolfgang Kubicki: Wir haben die Einführung der Mietpreisbremse immer kritisiert. Denn natürlich führt der angeblich „soziale“ Gedanke hinter diesem Regelwerk faktisch ins Gegenteil. Wer ernsthaft glaubt, dass sich der Vermieter nach der Einführung der Mietpreisbremse nicht für den solventesten – also vermeintlich finanziell zuverlässigsten – Mieter entscheidet, sondern seine Mieter jetzt nach anderen Kriterien auswählt, hat offensichtlich zu wenig Ahnung vom Wohnungsmarkt. Die Folge der Mietpreisbremse ist dann, dass die zahlungskräftigen Mieter trotzdem bessere Chancen haben, Wohnraum zu mieten – dafür dann aber weniger bezahlen müssen. Es ist also ein Subventionsprogramm für Reiche, das die SPD durchgesetzt hat. Wir brauchen schlicht mehr Wohnraum, gerade in den Großstädten, damit sich der Markt und damit der Marktpreis wieder entspannt.

 

NK: Bei der kürzlich stattgefundenen UN-Klimakonferenz wurde ein Weltklima-Vertrag geschlossen, dessen Erfolg im Sinne eines effektiven, weltweiten Klimaschutzes wohl noch in den Sternen steht. Müssten wir nicht zunächst einmal alles Machbare zum Klimaschutz in unserem Land tun? Eben wurde bei Elektrofahrzeugen, die ohnehin nur einen Bruchteil der Zulassungen ausmachen, die bisherige Steuerbefreiung von zehn Jahren auf fünf Jahre gekürzt. Ist das die richtige Maßnahme?

 

Wolfgang Kubicki: Deutschland ist in vielen Bereichen des Klimaschutzes jetzt schon Weltspitze. Wir müssen aber immer im Auge behalten, dass Deutschland nicht alleine das Klima retten kann und uns wirtschaftspolitisch nicht geholfen wäre, wenn wir zulasten unserer Wirtschaftskraft und unserer Arbeitsplätze einen deutschen Sonderweg mit strikteren Umweltauflagen fahren würden. Im Übrigen: Bei der Reduzierung der Steuerbefreiung von Elektrofahrzeugen auf fünf Jahre verstehe ich die Linie der Bundesregierung nicht. Denn die aus wettbewerbsrechtlicher Sicht begründete Begrenzung der Subventionierung beißt sich mit den ambitionierten Zielen der Bundeskanzlerin, bis 2020 eine Million Elektroautos auf Deutschlands Straßen zu haben. Man kann nicht ein Ziel definieren, Maßnahmen – von denen man meint, dass sie der Zielerreichung helfen – aber wieder streichen. Das ist nicht stringent.

 

NK: Gerade die mittelständische Wirtschaft als unverzichtbarer Wachstums- und Beschäftigungsfaktor und Stabilitätsgarant in der globalisierten Welt sieht sich überproportionalen bürokratischen Lasten ausgesetzt. Seit 2000 hat er sich fast verdoppelt. Die Gründe dafür liegen, so die FDP, beim Staat und der aktuellen Politik: steigende Erneuerbare-Energien-Gesetz-Umlage, Stromsteuer und doppelte Mehrwertsteuer. Bedarf es dringend einer grundlegenden Kurskorrektur in der Energiepolitik und wie schaut diese Ihrer Meinung nach aus?

 

Wolfgang Kubicki: Wir brauchen keine grundlegende Kurskorrektur in der Energiepolitik. Wenn man sich beispielsweise die Aktienmärkte anschaut, achten Anleger schon sehr genau darauf, wie die Unternehmen sich im Bereich nachhaltiger Energieträger aufstellen. Alles andere wäre nicht nur das völlig falsche Signal an die zunehmend investierenden Unternehmen, sondern auch für kommende Generationen, dieses gemeinsame Projekt nicht auf den Weg gebracht zu haben.

Was wir aber benötigen, ist mehr Offenheit und Pragmatismus in der Debatte, wie wir die Energiewende gestalten wollen und können. Einerseits sollten wir nicht den Fehler machen, die Energiewende nur auf bestimmte Technologien zu beschränken und regionale Standortfaktoren einfach zu übergehen. Herausragendes Negativbeispiel ist hierfür die immer noch übermäßige Förderung von Solarstrom im relativ sonnenarmen Deutschland. Andererseits müssen wir uns einfach der Größenordnung der Aufgabe bewusst werden und dürfen die wirtschaftliche Machbarkeit nicht vernachlässigen, ohne jedoch die Richtung zu verlieren. Diese notwendige Demut vor der Aufgabe vermisse ich bisweilen bei CDU, SPD und Grünen. Teure Braunkohle-Kompromisse und immer weiter steigende Kosten durch die EEG-Umlage sind jedenfalls genau das Gegenteil von dem, was man als verantwortungsvolle Politik bezeichnen kann. 

Wir brauchen deshalb marktgerechtere Instrumente als das EEG, um Stromkunden und Energieversorger gleichermaßen zu entlasten. Weitere Kostensteigerungen gehen gerade zulasten des Mittelstandes und sind damit ein erheblicher Wettbewerbsnachteil. Mehr ergebnisoffene Investitionen in Forschung und Entwicklung sind dabei elementar, um in einer sich globalisierenden Welt nicht abgehängt zu werden. Es kann nicht sein, dass wir Milliarden an Steuergeldern in den Ausbau der Erneuerbaren Energien investieren, gleichzeitig aber die dafür notwendigen Netzkapazitäten nicht zur Verfügung stehen. Im Ergebnis bleibt dort nicht nur viel ungenutzte Energie, sondern auch Potenzial liegen.

 

NK: Die Bundesregierung verspricht für 2016 indirekte Steuersenkungen durch Erhöhung der Freibeträge, höhere Renten, Kindergeld, Hartz IV und BaFög. Auf der anderen Seite müssen Umweltschutzmaßnahmen, Verkehrsinfrastruktur, Bildung und das ganze Thema Flüchtlingsintegration in Milliardenhöhen finanziert werden. Rechnen Sie nach der Bundestagswahl mit massiven Steuererhöhungen?

 

Wolfgang Kubicki: Das kommt ganz darauf an, wer dann in der Regierung sitzt. Aber ich verrate sicherlich kein Geheimnis, dass von den infrage kommenden Parteien die FDP diejenige ist, die die geringsten Ambitionen hat, Steuern zu erhöhen. Tatsächlich erleben wir in Zeiten der Großen Koalition nicht nur, dass „auf Teufel komm raus“ Projekte angeschoben werden, die mit einer vernünftigen Zukunftspolitik äußerst wenig zu tun haben. Zu nennen wäre da die extrem kostspielige Einführung der Rente mit 63, die dazu führen wird, dass das Solidarsystem noch viel schneller kippen wird als zuvor befürchtet. Außerdem müssen wir uns auf bürokratischen Spielwiesen tummeln, die außer Behinderungen und zusätzlichen Kosten keinen Mehrwert bringen. Der von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zuerst eingeführte, dann nach wenigen Tagen wieder zurückgenommene „Paternoster-Führerschein“ war ein solches Beispiel. Hier konnte man auch noch den Eindruck bekommen, dass die Mitarbeiter im zuständigen Arbeitsministerium testen wollten, wo Bürokratie endet und Slapstick beginnt.

 

NK: Der Bundesparteitag der Freien Demokraten hat mit großer Mehrheit beschlossen, sich für die kontrollierte Freigabe von Cannabis einzusetzen. Lizenzierte Geschäfte sollen an Volljährige Cannabis abgeben können. Wird Cannabis durch lizenzierte Händler verkauft, verdient der Staat an jedem Gramm mit. Experten rechnen mit bis zu zwei Milliarden Euro Mehreinnahmen. Ganz offen gefragt: Hat die FDP keine anderen Probleme?

 

Wolfgang Kubicki: Wenn wir schon wieder übers Kiffen sprechen können, dann haben wir das Tal der Tränen sicher durchschritten. Aber im Ernst: Natürlich gibt es wichtigere Probleme. Aber dass wir auf dem letzten Bundesparteitag die Cannabis-Diskussion geführt haben, hat ja nicht verhindert, dass wir auf dem Parteitag ebenfalls Positionsbestimmungen im Bereich der Flüchtlings-, Bildungs- oder Steuerpolitik vorgenommen haben. Vor diesem Hintergrund relativiert sich vielleicht die Relevanz, die Sie der Cannabis-Diskussion innerhalb der Partei unterstellen.

 

NK: Ein Fass ohne Boden ist die Gesundheitspolitik in unserem Land. Trotz der guten Wirtschaftslage der Bundesrepublik haben die Gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland alleine im ersten Halbjahr 2015 ein Defizit von einer halben Milliarde zu verzeichnen. Als Folge davon steigen erneut die Beiträge auf breiter Front. Hat die FDP dafür eine Lösung?

 

Wolfgang Kubicki: In der vergangenen Legislaturperiode gelang es dem FDP-Gesundheitsminister, aus einem elf Milliarden schweren Defizit, das seine SPD-Vorgängerin Ulla Schmidt hinterlassen hatte, einen Überschuss von beinahe 30 Milliarden zu machen. Statt konsequent die Strukturen der Gesetzlichen Krankenversicherung auf eine älter werdende Bevölkerung mit steigenden Ansprüchen an die Grundversorgung vorzubereiten, hat auch hier die Große Koalition das Füllhorn über die Versichertengemeinschaft ausgeschüttet. Statt Strukturreformen, die das Gesundheitssystem zukunftsfest machen, gab es neue Leistungsversprechen, die natürlich Geld kosten. Anstatt immer neue zusätzliche Leistungen in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung zu schreiben, muss dieser selbst im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems dringend überarbeitet werden.

 

NK: Die FDP hat 2013 eine vollständige Niederlage erlitten und scheint nun wieder auf dem Weg nach oben zu sein. Wie sehen Ihre ganz persönlichen Wahlprognosen für Ihre Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und bei den Bundestagswahlen aus?

 

 

Wolfgang Kubicki: Vergessen Sie die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Herbst dieses Jahres nicht! Ich rechne zunächst bei allen März-Wahlen – also in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt – mit Ergebnissen, die sich zwischen dem Bremer und dem Hamburger FDP-Ergebnis bewegen – also zwischen 6,6 und 7,4 Prozent. Sollte es so kommen, werden die Wahlen im Herbst für uns jedenfalls nicht schlechter ausgehen. Nach der Saarland-Wahl versuche ich dann im Frühjahr in Schleswig-Holstein – ebenso wie Christian Lindner in Nordrhein-Westfalen – ein besseres Ergebnis zu erreichen als im Jahr 2012. Es ist insgesamt noch ein langer und mühsamer Weg, aber die Bundestagswahl wird zum Ergebnis haben, dass die außerparlamentarische Existenz der FDP beendet wird.

 

NK: Herzlichen Dank für das Interview und Ihre Zeit, Herr Kubicki!